«JEDES MÖBELSTÜCK HAT EINE ZWEITE CHANCE VERDIENT.»

 

Philipp Buser im Gespräch mit Adrian Berchtold, Geschäftsführer Ruckstuhl AG, Sascha Vogel, Gründer Möbelnest und Yasmine Stegemann, Inhaberin Wuhrpolsterei.

 

ruckstuhl

Philipp Buser: Yasmine, du sagst, Möbel seien wie gute Freunde. Was meinst du damit?

Yasmine Stegemann: (lacht) «Ja, das klingt vielleicht übertrieben, aber es stimmt. Ein Stuhl oder ein Sofa begleitet uns oft über Jahrzehnte. Man isst, lacht, streitet und träumt darauf. Wegwerfen ist da wie eine Freundschaft abbrechen. Ich finde: Man sollte lieber reparieren und auffrischen.»

Sascha, das klingt ähnlich wie deine Philosophie im Möbelnest?

Sascha Vogel: «Genau. Wir holen Möbel aus Kellern, Estrichen oder Nachlässen, welche die Besitzerinnen und Besitzer in guten Händen wissen möchten. Für mich ist jedes Stück ein Zeitzeuge. Manchmal reicht ein neues Polster, manchmal braucht es eine grössere Restaurierung. Am Ende soll die Seele des Möbels sichtbar bleiben. Es macht Freude, gutem Design nochmals ein neues Leben zu geben.»

Adrian, dein Unternehmen arbeitet dagegen mit neuen Materialien. Wie passt das in den Nachhaltigkeitsgedanken?

Adrian Berchtold: «Das ist eine berechtigte Frage. Wir produzieren zwar neu, aber ausschliesslich mit natürlichen Rohstoffen. Kokos, Sisal, Leinen – sie sind nachwachsend, langlebig und am Ende biologisch abbaubar. Das unterscheidet uns von synthetischen Fasern, die oft als billige Lösung gelten, aber hohe Umweltkosten verursachen.»

Ihr habt mit Ruckstuhl ENCORE ein spezielles Programm entwickelt. Was steckt dahinter?

Adrian Berchtold: «ENCORE ist unsere Antwort auf die Frage: Wie können wir Produktionsüberschüsse sinnvoll nutzen? In der Teppichherstellung bleiben immer wieder Garnreste übrig – zu wenig für eine Serienproduktion, aber zu schade zum Entsorgen. Mit ENCORE sammeln wir diese Mengen und fertigen daraus exklusive Kleinstserien. Jedes Stück ist ein Unikat, das nur solange erhältlich ist, wie der Vorrat reicht.»

Frage: Und ihr bezieht auch gebrauchte Teppiche ein?

Adrian Berchtold: «Ja, ganz bewusst. Wir bereiten ältere Teppiche auf und führen die Materialien wieder in den Kreislauf zurück. Das ist für uns echte Kreislaufwirtschaft: nicht nur Neues herzustellen, sondern Bestehendes wieder nutzbar zu machen. Nachhaltigkeit soll keine Theorie bleiben, sondern sichtbar und spürbar sein.»

Sascha Vogel: «Das finde ich spannend, weil es in eine ähnliche Richtung geht wie bei uns im Möbelnest. Es zeigt, dass das Konzept des ‹zweiten Lebens› nicht nur für Möbel, sondern auch für Textilien funktioniert. Und zusammen kombiniert ist die Sache perfekt!»

Yasmine Stegemann: «Und es ist ein schönes Signal an die Kundschaft: Dass nachhaltige Produkte nicht weniger attraktiv sind, sondern im Gegenteil eine besondere Exklusivität besitzen.»

Viele Menschen kaufen heute Möbel beim Grossverteiler. Schnell, günstig, austauschbar. Was entgegnet ihr?

Sascha Vogel: «Ich sage: billig wird teuer. Wer ein Sofa für ein paar hundert Franken kauft, merkt oft schon nach kurzer Zeit, dass es durchgesessen ist. Dann kommt das nächste. Das kostet nicht nur mehr Geld, sondern auch Ressourcen. Ein restauriertes Möbelstück dagegen hat schon lange gehalten und hält nochmals etliche Jahre.»

Yasmine Stegemann: «Und es wird Teil der eigenen Geschichte. Ein geerbter Sessel, neu bezogen, ist plötzlich wieder modern – und man denkt dabei an die Grossmutter zurück. Das ist unbezahlbar.»

Adrian Berchtold: «Wir spüren aber auch, dass ein Umdenken einsetzt. Immer mehr Menschen fragen bewusst nach nachhaltigen Alternativen. Es ist eine Bewegung, die langsam, aber stetig wächst. Und wir sind überzeugt: Den grössten Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet die möglichst lange Nutzung eines Produkts. Deshalb setzen wir alles daran, dass unsere Teppiche möglichst lange im Materialkreislauf verbleiben.»

Die Firma Ruckstuhl ist international bekannt. Warum ist dir der Standort Langenthal wichtig?

Adrian Berchtold: «Weil hier unsere Wurzeln sind. Wir sind seit 1881 in Langenthal, und diese Verbundenheit ist Teil unserer Identität. Nachhaltigkeit hat auch mit Regionalität zu tun: kurze Wege, lokale Arbeitsplätze, ein Netzwerk, das trägt.»

Gibt es für euch alle einen Moment, in dem Nachhaltigkeit ganz konkret wird?

Yasmine Stegemann: «Ja, wenn ich sehe, wie ein altes Sofa in neuem Glanz erstrahlt und die Kundin mit leuchtenden Augen sagt: Das hätte ich nie erwartet. Das ist pures Glück.»

Sascha Vogel: «Für mich ist es der Moment, wenn junge Leute ein Möbel kaufen, das doppelt so alt ist wie sie selbst – und es feiern, weil es so cool und langlebig ist.»

Adrian Berchtold: «Wenn Architektinnen unsere Teppiche wählen, weil sie das natürliche Raumklima schätzen. Das zeigt, dass Nachhaltigkeit nicht nur moralisch, sondern auch praktisch überzeugt.»

Wenn ihr in die Zukunft blickt – was wünscht ihr euch?

Sascha Vogel: «Mehr Mut zum Unperfekten. Schönheit liegt oft auch in Gebrauchsspuren und der Patina.» Yasmine Stegemann: «Dass Menschen erkennen: Reparieren ist modern. Wegwerfen ist von gestern.» Adrian Berchtold: «Und, dass Nachhaltigkeit nicht mehr als Trend diskutiert wird, sondern als Selbstverständlichkeit. So wie heute kaum jemand bestreitet, dass sauberes Trinkwasser wichtig ist.»

Kommen wir zum Schluss – in einem Satz: Was bedeutet Nachhaltigkeit für euch persönlich?

Adrian Berchtold: «Die Balance zwischen Design und Natur zu wahren.»

Sascha Vogel: «Wohngeschichten weiterzuerzählen, statt sie abzubrechen.»

Yasmine Stegemann: «Mit Herz und Handwerk Zukunft zu gestalten.»

Liebe Yasmine, lieber Adrian, lieber Sascha, vielen Dank für das spannende Interview.

 

möbelnest

Drei Unternehmen, drei Wege – und doch eine gemeinsame Haltung: Nachhaltigkeit ist kein Modethema, sondern die Grundlage verantwortungsvollen Wirtschaftens.

Ruckstuhl zeigt, dass natürliche Rohstoffe Design und Ökologie verbinden können. Das Möbelnest beweist, dass im Bewahren eine eigene Schönheit liegt. Die Wuhrpolsterei interpretiert Handwerk neu und macht aus Vorhandenem Zukunft.

Langenthal ist damit ein Mikrokosmos für eine Bewegung, die weltweit wächst: Kreislaufwirtschaft als Chance, Lebensqualität mit Umweltschutz zu verbinden. Wer hier einkauft oder sich beraten lässt, investiert nicht nur in ein Produkt, sondern auch in eine Haltung.

Und vielleicht ist genau das die wichtigste Botschaft: Nachhaltigkeit beginnt nicht erst bei globalen Klimazielen – sie beginnt in unseren Wohnungen, auf unseren Böden, in unseren Sesseln und an unseren Tischen. Dort, wo Menschen mit Sorgfalt, Kreativität und Respekt leben und arbeiten.